Föhn

29. März 2007 | Von | Kategorie: Stadtgeschichten

Der Fettkloß zwängt sich als erster in die Straßenbahn und blockiert den Eingang. Weigert sich, auch nur einen Schritt weiter ins Wageninnere zu machen. Man gibt w.o. und zwängt sich vorbei und kommt schräg gegenüber eines nikotinvergilbten Langfingernagelträgers zu sitzen. Krawatte und Anzug sind speckig, das Odeur corporelle dementsprechend. Es wird eine Modeleisenbahnzeitschrift gelesen. Die Frau im beigen Trenchcoat, mit der man sich die Sitzbank teilt, bekreuzigt sich jedesmal, wenn wir eine Kirche passieren. Der übergewichtige Gangverstopfer rülpst und bohrt in der Nase.

Nach kurzer Fahrt zwängt man sich dann wieder nach draußen und wird um ein Haar von einem Kinderwagen niedergefahren. An dessen Steuer eine juvenile Mutter mit Clownfrisur. Das selbstbräunerfleckige Möchtegern-Yuppie-Paar schmust in Posingmanier vor dem Geldautomaten. Der naturgebräunte Obdachlose sieht aufmerksam zu und scheint sichtlich erregt. Eine Frau stolpert über den Bordstein und beschimpft diesen aufs Expliziteste. Sie scheint nicht allein – geistig. Das bürgerlich gewandete Pensionistenehepaar zankt sich ob der Wahl des bevorstehenden Mittagstisches. Sie will ein Brötchen im Stehen, er ein Schnitzel im Sitzen und geht davon. Die Frau bleibt verloren zurück und trottet letztendlich dem werten Gatten kleinlaut hinterher.

Im Himmelreich der k&k Imbissstubentradition angekommen, steht man Schlange. Ein Herr bugsiert seinen köstlichst befüllten Teller direkt in den Unterarm einer Touristin. Das gibt Scherben und einen Disput. Er ist beleidigt, bezichtet sie des vorsätzlichen Tuns, sie ist verwirrt, weiß nicht wie ihr geschieht und versteht die Welt nicht mehr. Er macht auf Schulmeister und verlässt lautstark tadelnd das Lokal. Zumindest seinen Pfiff hat er gerettet. Und dann ist man endlich selbst an der Reihe und der ganz normale Wahnsinn einer, dem warmen Westwind ausgesetzten Stadt hat sich bezahlt gemacht, um nun in aller Ruhe einer heimlichen Leidenschaft zu frönen. Da fehlen einem die Worte und das nicht nur wegen der Unaussprechlichkeit.

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