Das Böse sind wir

23. März 2012 | Von | Kategorie: Blickwinkel, Das philosophische Menuett

Zygmunt Baumann, Grand Senior der polnischen Geistes- und Sozialwissenschaft, Soziologe und Philosoph mit Wohnort Leeds war Gast der Simon Wiesenthal Lectures 2012. Ein Mann, der die europäischen Diktatoren des vergangenen Jahrhunderts hautnah miterlebt hat und sich in seinen wissenschaftlichen Studien einer der ganz großen Frage stellt: Woher kommt das Böse?!

Und wenn man seinen Ausführungen folgt, so resümiert man selbst als wackere Optimistin, der nächste Strick sei wohl die einzig wahre Lösung. Denn das Böse, das sind wir. Es schlummert in jedem von uns. Und genauso wenig, wie man sagen kann, woher das Gute kommt, oder wie man es sozialisiert, verhält es sich mit dem Bösen.

Monstrosität bedarf keiner Monster, führt Baumann aus und gründet diese Aussage nicht zuletzt auf die erschreckende „Normalität“ eines Menschenvernichters wie Eichmann. Wobei man sich hier schon die Frage stellen darf, was denn dieses „Normale“ eigentlich ist und ob es nicht vielleicht in sich selbst bereits etwas Gefährliches hat – die Gleichschaltung, das Konforme, das Unkritische?

Die Summe der einzelnen Teile macht das Ganze. Der Holocaust ist die Summe Millionen Einzeltäter und Einzeltäterinnen. Das Volk. Das Gefolge einer menschenverachtenden Ideologie. Wie die Studien von Zimbardo & Co. zeigen, ist es immer eine Situation von „Verantwortungsabgabe“, die das Böse in uns erwachen lässt. Ob das Laborsetting des Milgram– oder das Stanford-Prison-Experiment. Immer gehen die darin beobachteten Bösheiten einher mit der Möglichkeit die Verantwortung von sich zu weisen.
Es geht um verantwortungsloses Verhalten im wahrsten Sinne des Wortes. Denn warum ein Verhalten hinfragen, das uns von (vermeintlichen) Expertinnen und Experten aufgetragen wird? Haben wir doch bereits von Kindesbeinen an gelernt, Anweisungen von Autoritätspersonen – oder zumindest deren Stereotypen – zu folgen. Und das im Idealfall motiviert und mit größtem Engagement. Denn wenn wir es nicht tun, haben wir ebenfalls gelernt, dass wir mit Repressalien zu rechnen haben und wir haben gelernt, dass dies weit weniger erbaulich sein kann, als eine noch so unliebsame Arbeit auszuführen. Und wenn man sich diesen Umstand jetzt auch noch unter den Annahmen der Normalverteilung ansieht, wird man ziemlich sicher 80% einer Gruppe dazu motivieren können, ein Verhalten auszuführen – vielleicht machen es 20% sogar mit größter Freude – während nur 1 Fünftel sich der Aufgabe verweigern oder sie nicht in dem Umfang ausführen wird, wie angewiesen. Das Böse? Oder vielleicht nicht vielmehr die Frage, in wiefern man für sein Verhalten selbst Verantwortung übernehmen kann und vor allem will.

Das ist vor allem eine Frage gesellschaftlicher Grundwerte und Ideologien. Vielleicht ist es das „Was-Du-nicht-willst-das-man-Dir-tu-das-füg-auch-keinem-anderen-zu, was uns zu einer friedvolleren Gemeinschaft machen kann. Und vielleicht ist es auch die Erkenntnis, dass wir eben ganz grundsätzlich nicht in einer Gesellschaft leben, die diese goldene Regel propagiert und damit „dem“ Bösen genug Raum zur Entfaltung gibt. Und eines so in diesem Zusammenhang noch erwähnt. Bisher waren es Menschen, die anderen Menschen Böses taten. Zunehmend werden es von Menschen erschaffene Maschinen – wie die bereits im Einsatz befindlichen Drohnen in Afghanistan & Co. Die (Kriegs)maschinerie stellt eine Art erweiterte Extremität menschlicher Hand(!)langer dar. Ist sie in Gang gesetzt, gibt es kein Zurück mehr. Oder wie es Baumann formuliert:“The military machine cannot be stopped!“ Das sollte uns zu denken geben und gleichzeitig auch Auftrag sein. Denn wir haben unser Schicksal in der Hand. Auch wenn wir es gerne in jene eines Schöpfers, Propheten oder sonstiger Heilsversprecher legen möchten. Es sind alleine wir, die gut oder böse handeln können. Wir haben die Wahl. Und vielleicht befindet sich darin auch der Sinn des Lebens.

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