Kasimir und Karoline – eine Begegnung

28. März 2012 | Von | Kategorie: Bretter die die Welt bedeuten

Streckenweise fühlte man sich von den Sprechkanonaden wie erschlagen, wollte am liebsten flüchten, sich die Finger in die Ohren stecken, den Pause-Schalter drücken. Die Präsenz auf der Bühne war alles einnehmend, wie eine mächtige Welle, die über den Publikumsrängen brach. Ödon von Horvath´s Kasimir und Karoline am Residenztheater. Eine Wucht.
Ein gnadenloser Regiesseur Castorf, der in einem berauschenden Grenzgang, dem Ensemble vollen (Körper)einsatz und der Audience ungetrübte Aufmerksamkeit abverlangte. Das Taschentücherl hätte man zücken und die weiße Friedensfahne wedeln wollen. Reizüberflutung. Erschöpfung. Auf der Bühne monologisiert Ofczarek im Stakkato und verschiebt die Staffage, damit dem Parkett rechts außen der Blick nicht weiter verstellt ist. Vielleicht kann er das auch gleich bei den blickverstellten Populisten dieser Welt machen. Beglau schreit sich – mal Mann, mal Frau – derweil die Seele aus dem Leib. Ist gewaltig und auch -tätig. Schlägt zu und greift hinein. Ganz tief und akribisch – in die Klomuschel. Es ist, als ob sich Schwab´s Mariedl kurzfristig auf die Wies´sn verirrt hätte. Chapeau! Auch einer im Wollminikleid quietschenden Birgit Minichmayr und dem schweigsamsten Protagonisten des Abends – dem Fjordpferd. Still, aber doch immer am Punkt trottete es über die Bühne und fäkalisierte dabei olfaktorisch fordernd.
Doch nichts gegen den Morast der menschlichen Seelen. Der reicht aus, das ganze Universum zu kultivieren. Und so schickt Castorf uns mit seiner Truppe ins Schilf. Und da ist sie wieder, die ihm so eigene, unnachgiebig hämmernde Baseline Nationalsozialismus. Da stehen sie, im fahlen Bühnenlicht, der eine eben noch mit pavianrot versohltem Hintern, jetzt in Häftlingskleidung. Die Moorsoldaten intonieren den Abgesang auf die Menschlichkeit. Ein Hoch der Bühnenkunst.

Und auch die Gästeschar verdient eine Erwähnung. Vor einem ein Wiener Mutter-Tochter-Gespann auf Speed. Dahinter ein ältliches Münchner Paar – das Stück lautstark kommentierend. Argents provocateurs? Wäre nicht das erste Mal, dass in einer Castorf Inszenierung in den Reihen und nicht nur auf der Bühne gespielt wird. Und neben einem ruht die milchzarte Hand einer Midzwanzigerin in der verfalteten Altersfleckenpranke eines Endsechszigers mit 3-Wettertaft-Fönfrisur. Besser als das Leben, kann halt doch niemand inszenieren.

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